Honda GL 1000 (1974-1980) - Ein Goldwing Dickschiff auf Reisen

2022-05-28 05:13:13 By : Ms. Ann Fang

Am 16. September 1972 war es soweit: Der Messestand von Kawasaki war auf der Kölner IFMA heiß umlagert als die 900 Z1 dem staunenden Publikum vorgestellt wurde. Mit dem selbstbewussten wie provokanten Werbeslogan „Ein Ausdruck des Glaubens an die Zukunft des Motorrades – Kawasaki 900 Super 4“ macht der japanische Motorradhersteller seinem Rivalen aus Tokio unmissverständlich deutlich, dass die Messlatte im Motorradbau an jenem Tag nach oben verschoben wurde. Der kraftvolle Motor mit seinen 82 PS machte die 903 Kubikzentimeter messenden Z1 zum stärksten Motorrad in jenen Tagen. Zu dieser Zeit gab es kein vergleichbares Bike, welches auch nur im Entferntesten an sie heranreichte. Die bis dato beachtlichen Leistungsdaten der CB 750 Four waren pulverisiert. Damit war Hondas Ehrgeiz mehr als geweckt. Von dem ‚Überbike‘ inspiriert, machte sich noch im gleichen Jahr die Honda Entwicklungsabteilung unter der Leitung von Soichiro Irimajiri an die Arbeit. Die geplante Honda GL 1000 Goldwing sollte völlig neue Maßstäbe in Sachen Leistung und Komfort setzen.

„Honda hatte sich kein geringeres Ziel gesetzt als den besten und schnellsten Tourer der Welt zu bauen.“, fasste der GOLD WING CLUB DEUTSCHLAND das ehrgeizigen Vorhaben zusammen.

Die erste Goldwing: Honda GL 1000 von 1976 (Quelle Nippon-Classic.de)

Der ersten Prototyp M1/AOK der Honda Goldwing 1000 entstand aus Teilen einer BMW R 75 und CB 750 F , ausgestattet mit einem gigantischen Sechszylinder-Boxermotor. Dieser Hybrid ging aber so nie in Serie.

Im Herbst 1974 feierte dann die Honda GL 1000 Weltpremiere, über die viel von der Fachwelt im Vorfeld spekuliert wurde. Honda wählte bewusst wieder die IFMA in Köln als Präsentationsort der Goldwing – Schelm, wer da an Rache denkt.

Bei ihrem Erscheinen überflügelte die Honda Goldwing alle bisher gekannten Komfortmaßstäbe und ermöglichte gleichzeitig eine außergewöhnliche hohe Reisegeschwindigkeit. Ihr flüssigkeitsgekühlter Vierzylinder-Boxermotor schloss mit einer maximalen Leistung von 82 PS zur Kawasaki Z1 auf, übertraf sie aber in der Größe mit einem Hubraum von fast einem Liter. Für einen Luxusliner dieser Klasse war der Preis des Honda Bikes mit 9.268 DM zudem konkurrenzlos.

Allerdings hatten die japanischen Konstrukteure das schwammige Fahrwerk für einen Supersporttourer zu schwach ausgelegt. Die Honda Goldwing schaukelte sich schnell auf, was zwischen 1977 und 1978 zu drei schweren Unfällen führte. Als Reaktion auf die Gerichtsverfahren und die Schelte in der Fachpresse positionierte Honda die neue, 1980 vorgestellte, GL 1100 einfach als Tourenmotorrad.

Die erste Goldwing GL 1000 geriet wegen Fahrwerksproblemen in die Kritik (Quelle Nippon-Classic.de)

Niemand störte sich mehr an dem hohen Gewicht und der geringen Schräglagenfreiheit dieser Sänfte. Über die Jahre schuf die Honda Goldwing erfolgreich eine neue Klasse unter den Reisemotorrädern. Heute ist sie Kult und erfreut sich weltweit einer großen Fangemeinde.

Kawasaki blieb allerdings seinem Rivalen stets dicht auf den Fersen und legte 1976 mit der Z 1000 nach. Für 9.000 DM gab’s 1.016 ccm Hubraum, 85 PS und 210 km/h Spitze. Das Wettrüsten war eröffnet.

Erstmals in der Firmengeschichte verbaute Honda einen flüssigkeitsgekühlten Boxer-Motor mit vier Zylindern. Mit einer Bohrung von 72 Millimetern und einem Hub von 61,4 Millimeter war das 106 Kilogramm schwere Aggregat kurzhubig ausgelegt.

Aus exakt 999,45 ccm Hubraum schöpfte der seidenweich laufende Goldwing Motor eine Spitzenleistung von 82 PS bei 7.500 Umdrehungen pro Minute und ein maximales Drehmoment von 80 Nm bei 6.500 U/min. Das durchzugsstarke Triebwerk beschleunigte das 265 Kilogramm schwere Dickschiff auf bis zu 210 km/h. Vollgetankt kamen noch einmal 30 Kilogramm dazu. Trotz hohem Gewicht in fahrbereitem Zustand konnte die Honda GL 1000 noch einmal 176 Kilogramm zuladen.

Seidenweich: der Vierzylinder-Boxer-Motor der GL 1000 (Quelle Nippon-Classic.de)

In jedem Zylinder regelten zwei Ventile den Verbrennungsvorgang, wobei die Einlasskanäle nach oben (zu den Vergasern) und die Auslasskanäle nach unten (zu den Auspuffkrümmern) gerichtet waren. Zwei obenliegende, von Zahnriemen angetriebene Nockenwellen bewegten die Ventile über Kipphebel. Durch den Verzicht auf den sonst üblichen Kettenantrieb reduzierten sich sowohl Geräusche als auch der Wartungsaufwand. Vier Keihin-Unterdruckmembranvergaser mit jeweils 32 mm Durchlass speisten die vier Zylinder mit dem notwendigen Kraftstoffluftgemisch. WINNI SCHEIBE blickte der Honda Goldwing „unter die Haube“ und entdeckte einige Besonderheiten:

„Das Fünfganggetriebe befand sich nicht wie üblich hinter dem Motor, sondern zur besseren Gewichtsverteilung und aus Platzgründen unter der Kurbelwelle. Hierfür enthielt der kompakte Motorblock „etliche Zahnräder, Hilfswellen und Antriebsketten. Damit das Triebwerk auch tatsächlich vibrationsarm lief, war die Schwungmasse aufgeteilt. Auf einer separaten Welle lief gegen die Drehrichtung der Kurbelwelle die 4,5 Kilogramm schwere Lichtmaschine.“

Die Kraftübertragung vom Getriebe zum Hinterrad erfolgte bei der Goldwing GL1000 über einen wartungsarmen Kardanantrieb – ein Novum im Hause Honda.

Der Kardanantrieb der GL1000 auf der rechten Seite (Quelle Nippon-Classic.de)

Mit über 2,3 Meter Länge und einem Radstand von mehr als 1,5 Meter war ihre gewaltige Größe nur mit Superlativen zu beschreiben. Der mehr als 100 Kilogramm schwere Goldwing-Motor hing in einem Doppelschleifen-Rohrrahmen. Die hydraulisch gedämpfte Teleskopgabel mit einem Standrohrdurchmesser von 37 Millimetern gönnte dem Vorderrad einen Federweg von bis zu 120 Millimeter (ab K3: 126 mm). Die hintere Doppelschwinge federte 87 Millimeter tief ein und verfügte über zwei fünffach verstellbare Federbeine. Die Schwinge war nadelgelagert und nicht wie so oft in billigen Kunststoffbuchsen.

Damit der Fahrer das schwere Honda Bike wunschgemäß zum Stehen bringen konnte, besaß die Goldwing eine moderne Bremsanlage mit drei Scheibenbremsen – vorn eine Doppelscheibenbremse mit 232 mm und hinten eine Einfachscheibe mit 150 mm Durchmesser.

Eine Doppelscheibenbremse musste die GL 1000 zum Stehen bringen (Quelle Nippon-Classic.de)

Durch kluge Gewichtsverteilung war der Schwerpunkt sehr niedrig gehalten, was das Big Bike bemerkenswert handlich machte. Das hohe Gewicht kam vor allem im Stehen sowie bei flotter Fahrweise zum Tragen. In schnell gefahrenen Kurven – egal ob Autobahn oder Landstraße – waren die physikalischen Grenzen früh erreicht. Im ungünstigsten Fall schaukelt sich die Maschine gefährlich auf. Nicht alle Fahrer beherrschten den Goldwing Giganten so gut, dass ihn im Grenzfall noch abfangen konnten. Schweißperlen auf die Stirn waren in jedem Fall garantiert. Der tiefliegende Schalldämpfer und die Fußrasten begrenzte die Kurvenschräglage beidseitig. Zu oft nahmen diese unerwünschten Kontakt zum Fahrbahnbelag auf.

Die Honda Goldwing behielt eine weitere Eigentümlichkeit parat: Vermutete man unter dem Tank tatsächlich den Kraftstoffbehälter, entpuppte dieser sich bei genauerem Hinsehen als eine Attrappe. Aus Platzgründen und um den Schwerpunkt so niedrig wie möglich zu halten, brachten die Konstrukteure den 19 Liter fassende Behälter im Rahmendreieck der GL1000 hinter dem Motor unter. Unter der Abdeckung fanden die beiden Rahmenstreben sowie Sicherungen, Relais und Gleichrichter und der Luftfilter Platz.

Unter der Verkleidung sitzt die Batterie (Quelle Nippon-Classic.de)

Während der fünfjährigen Produktionszeit erhielt die Goldwing mehrere Modellpflegen, wobei sich erst mit der K3 sichtbar etwas änderte. Für detailverliebte Interessenten hat der GWCD alle Maßnahmen dokumentiert. Hier die knappe Zusammenfassung:

Die neue Honda GL 1100 debütierte Mitte 1980 mit einer super-bequemen Sitzbank, endlich sicherem Fahrwerk und einem auf 1.085 ccm vergrößerten Hubraum mit mehr Leistung und Drehmoment.

1984 wird dann die GL 1200 zum echten Reisemobil. Die Bezeichnung „Sofa auf zwei Rädern“ trifft ab dieser Baureihe auf die Goldwing voll und ganz zu.

Der ersten Honda Goldwing sah man die einstige Bestimmung noch an (Quelle Nippon-Classic.de)

Das Fahrwerk der Honda Goldwing war mit dem extrem hohen Gewicht und der strotzenden Motorleistung in vielen Situationen überfordert. Die unzureichende Fahrstabilität – der als Supersporttourer positionierten ersten Baureihe – ist daher eines der größten Mankos. Die 300 Kilogramm dieses Oldtimers gehen auch nicht spurlos am Hinterradreifen vorüber. Nach wenigen tausend Kilometer muss der Pneus gewechselt werden. Kleinere Verbesserungen (Lenkkopflager, Schwinge, Radstand) gab es ab der K3.

Ein mächtiger Kühler hält den GL 1000 Motor auf Temperatur (Quelle Nippon-Classic.de)

Nach längeren Standzeiten wird meistens ein Austausch der Zahnriemen erforderlich, da diese im Laufe der Jahre hart werden. Weitere Schwachstellen betrafen durchgebrannte Zylinderkopfdichtungen (v.a. GL 1200), defekte Anlasser und streikende Vergaser. Letztere lassen sich mit einem gründlichen Ultraschallbad, neuer Düsenbestückung und Dichtungen und der obligatorischen Synchronisation wiederbeleben. Aber auch die Lichtmaschine streikte bei der GL 1200 gerne, ein Wechsel klappte nur bei ausgebautem Motor. Und das wird richtig teuer, wie GL 1000 Fahrer Gremmelsbacher bestätigt: „Nach 35 Jahren hatte ich an meiner 79’er Goldwing nur zwei größere Reparaturen. Neben der Erneuerung der rechten Zylinderkopfdichtung hatte ein gelöster Magnet gelöst die ganze Lichtmaschine zerstört. Die ganze Reparatur kostete stolze 1.500 Euro, da ja der Motor komplett raus musste.“

Tatsächlich wirkte die Honda Goldwing wie ein Sportstourer (Quelle Nippon-Classic.de)

Die GL 1000 schwächelte außerdem durch eine rostige Auspuffanlage, eine schwach ausgelegte Kupplung, Getriebeprobleme und stark beanspruchte Bremsen. Während der Modellpflege besserte Honda nach, so auch bei den Schaltklauen im Getriebe.

Laut KBA sind noch ungefähr 1.800 Honda GL 1100 und GL 1200 in Deutschland zugelassen. Die Honda Goldwing Oldies haben entsprechend viele Kilometer auf der Uhr, waren doch Autobahnen und Landstraßen ihr bevorzugtes Revier. Gepflegte Maschinen mit weniger als 20.000 Kilometern, sind selten und werden zwischen 6.000 und 8.000 Euro offeriert.

Eigentlich sollte die GL 1000 der Kawasaki Z1 900 Paroli bieten (Quelle Nippon-Classic.de)

Kaum ein Motorrad fasziniert noch heute wie die Honda Goldwing. Dies erklärt auch, warum es hierzulande mehr als 70 regionale Vereine und Clubs gibt. Zwei Webseiten, die sich seit Jahren liebevoll dem Thema Goldwing widmen, seien besonders erwähnt:

Meinen Namen, E-Mail und Website in diesem Browser speichern, bis ich wieder kommentiere.