Spezialglas für Corona-Impfstoffe braucht viel Erdgas bei Herstellung

2022-09-16 21:11:01 By : Ms. Carol Lee

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Gläserne Lieferkette? Der Weg zum fertigen Impfstoff ist komplex und an vielen Stellen abhängig von Erdgas. Bild: Imago

Ohne Spezialglas keine Impfstoffe. Das herzustellen braucht aber viel Erdgas, und Alternativen sind rar.

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F lüssiggas ist eine Versicherungspolice. Eine, von der das Mainzer Unternehmen Schott hofft, sie nicht zu brauchen, und in die es trotzdem einen zweistelligen Millionenbetrag investiert. Denn man kann zwar hoffen und bei der Bundesnetzagentur und dem Bundeswirtschaftsministerium dafür werben, nicht den Erdgashahn zugedreht zu bekommen, wenn es im Winter doch knapp wird. Zu sicher aber möchte man sich in Mainz nicht sein. Zu viel hängt davon ab, dass die eigene Produktion läuft, 24 Stunden an jedem Tag des Jahres.

Schott stellt Spezialgläser her, in denen Arzneien und Pharmazeutika verpackt werden. Die großen Covid-Impfkampagnen des vergangenen Jahres wären ohne solche Gläser nicht denkbar gewesen. Allein Schott hat 2021 nach eigenen Angaben Glasfläschchen für mehr als fünf Milliarden Corona-Impfungen aus seinen Fertigungshallen laufen lassen. In diesem Herbst stehen hierzulande die nächsten Impfrunden an. Nur haben es das Land und jene Unternehmen, die sie am Laufen halten sollen, zusätzlich mit einer Energiekrise zu tun.

Impfstoffe entstehen, so wie alle Arzneimittel, entlang einer komplexen Lieferkette, für die diverse Vorprodukte nötig sind, auch aus der Glas-, Papier- und Chemieindustrie. „Bei dieser Komplexität ist es schwer vorauszusagen, an welcher Stelle der ‚Flaschenhals‘ sein könnte“, sagt Hans-Georg Feldmeier, der dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie vorsitzt. Klar ist aber, dass besonders die Glashersteller in Bedrängnis geraten könnten, sollte sich die Gaskrise verschärfen. Ihre Produktion ist extrem energieintensiv, auch wenn man sich mit genauen Verbrauchszahlen aus Wettbewerbsgründen zurückhält. „Unsere Gasversorgung ist durch langfristige Verträge für die kommenden Monate gesichert“, sagt ein Sprecher von Schott. Trotzdem versuche man sich darauf vorzubereiten, im Zweifel Flüssiggas zu beschaffen und die entsprechende Infrastruktur dafür aufzubauen. Das ist nicht nur teuer, sondern auch riskant, wie Schott sagt. Spezialglas zu produzieren ist ein sensibler Prozess.

Erdgas ist und bleibt erst einmal der wichtigste Energielieferant, damit die Spezialgläser ohne Abweichungen hergestellt werden können. Mit grünem Wasserstoff geht das bisher nur in Pilotprojekten. In den einfamilienhausgroßen Schmelzwannen des Glasherstellers herrschen immer Temperaturen von mehr als 1500 Grad Celsius. Weicht die Temperatur nur um zehn Grad ab, könnten die Gläser Blasen schlagen oder Risse bekommen. Die Wannen lassen sich auch nicht abschalten. Sollte die Gasversorgung doch ausfallen, wovon Schott derzeit nicht ausgeht, bedeutete das: Die Temperatur fällt, das Glas erstarrt. Es wäre ein technischer und wirtschaftlicher Totalschaden, heißt es aus dem Unternehmen.

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Für Pharmazeutika, wie die sensiblen mRNA-Impfstoffe, gilt, dass Wirkstoff und Primärverpackung immer zusammen zugelassen werden müssen. Der Impfstoffnachschub ist also schon von Verpackungs wegen darauf angewiesen, dass die energieintensive Glasproduktion weiterläuft. Um die Vakzine beispielsweise in Kunststoff abzufüllen, bräuchte es ein neues Zulassungsverfahren. Und aus dem Unternehmen Gerresheimer, das aus den Vorprodukten von Schott die Aufziehfläschchen für Impfstoffe formt, heißt es, dass Kunststoff bei Temperaturen von minus 70 Grad, bei denen die Corona-Impfstoffe gelagert werden müssen, brechen könnte. Man setze daher ganz darauf, dass der Lieferant aus Mainz schon dafür sorgen werde, dass der Nachschub an sogenanntem Röhrenglas gesichert sei.

Zumindest das Borosilikatglas, das sich in mehr als 100 Jahren für Medizin und Pharmazie bewährt hat. Es ist beständig gegen Chemikalien und Temperaturen, recht bruch- und splittersicher. Inzwischen sind die Gläser von innen zusätzlich beschichtet, damit die Wirkstoffe nicht mit dem Glas interagieren können. Außerdem darf kein noch so feiner Glaspartikel in die Flüssigkeit gelangen. Sonst kann es für die Patienten gefährlich werden. „Wir glauben, dass wir auch mit dem herkömmlichen Erdgasplan durchkommen“, sagt Schotts Sprecher. Auf ein „absolutes Back-up-Szenario“ verzichte man trotzdem nicht. Wenn jedes Tröpfchen Impfstoff zählt, dann auch jedes Fläschchen Spezialglas.

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Schmelzen für den Piks: Spezialglas für Corona-Impfstoffe braucht Erdgas

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