Hot Hot Hot – Ausstellung über Glas, Keramik und Porzellan | Radio Prague International

2022-09-16 21:14:50 By : Ms. Anne Zhang

Glas, Keramik und Porzellan aus Tschechien sind weltweit ein Begriff. Neben der Wirtschaft werden diese Werkstoffe auch in der angewandten Kunst vielseitig eingesetzt. Die Glas-, Keramik- und Porzellanhersteller können sich in Tschechien auf  historisch gewachsene Strukturen stützen. Anderseits sind ständig Anpassungen an aktuelle Entwicklungen nötig. Eine Ausstellung im Technischen Nationalmuseum in Prag stellt sowohl die neuesten Trends als auch das lebendige Erbe früherer Generationen vor. Unter dem Titel „Hot Hot Hot. Glas, Keramik und Porzellan von A bis Z“ gibt die Schau außerdem einen Überblick über Fachverbände, Forschungs- und Bildungseinrichtungen. RPI hat mit Petr Nový, dem Kurator der Ausstellung, gesprochen.

Die Vereinten Nationen haben 2022 zum „Internationalen Jahr des Glases“ ausgerufen. Damit soll auf die Vorzüge des transparenten Werkstoffs hingewiesen werden, der die Menschheit schon seit über 9000 Jahren begleitet. In Tschechien ist die Glasbranche seit jeher organisatorisch eng mit der Keramik- und Porzellanbranche verflochten. Dem trägt der größte Fachverband Rechnung, die 1990 gegründete Assoziation der Glas- und Keramikindustrie. Dementsprechend ist auch die Ausstellung „Hot Hot Hot“  branchenübergreifend gestaltet. Entworfen hat sie Petr Nový, Chefredakteur der Fachzeitschrift „Glasmacher und Keramiker“ und fachlicher Leiter des Glas- und Bijouteriemuseums in Jablonec nad Nisou / Gablonz. Die heutige Struktur der Glas-, Keramik- und Porzellanherstellung wurzele in der Transformation von der staatlichen Planwirtschaft zur Privatwirtschaft nach 1989, sagt Nový:

„Die Privatisierung war eine der größten Herausforderungen. Im Unterschied zur Textilwirtschaft ist sie in der Glas-, Keramik- und Porzellanbranche im Wesentlichen gelungen. Zugleich hat sich aber die Eigentümerstruktur gewandelt. Die meisten Unternehmen, die Flachglas oder Verpackungsglas herstellen, sind jetzt Teil großer ausländischer Gesellschaften. Das hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil ist, dass sie als Teil einer Unternehmensgruppe die Risiken besser streuen können. Ein Nachteil ist, dass die oberste Firmenleitung nicht dort ist, wo die Arbeit in den Betrieben geschieht.“

Dass sich tschechische Glas-, Keramik und Porzellanproduzenten in der starken internationalen Konkurrenz behaupten können, sei durch die breite Aufstellung dieser Branchen zu erklären, meint Nový:

„Ich glaube, dass der Mix wesentlich ist. Wir sind in allen Sparten, die in der Ausstellung vertreten sind, in der Lage, sowohl die üblichen Erzeugnisse als auch Spitzentechnologien und Spitzenprodukte anzubieten, und das ebenso in Bezug auf das Design. Deswegen haben wir die Ausstellung so konzipiert, dass wir Künstler und Ausbildungsstätten einbezogen haben – damit der Nährboden deutlich wird, über den wir verfügen.“

Die Ausstellung „Hot Hot Hot“  zeigt am Beginn einheimische Rohstoffvorkommen, unter anderem Glassande, sowie innovative Technologien, die tschechische Unternehmen anwenden, etwa Pulverglasuren oder die mechanische Mattierung von Glas mit Spezialbürsten. Bei allen Gemeinsamkeiten gehe jede der drei Branchen ihre eigenen Wege, betont Kurator Petr Nový:

„Für die tschechische Glasbranche ist essentiell, dass die breite Produktpalette bewahrt werden konnte, die es früher hier gab – vom manuell hergestellten Glas bis zu High-Tech-Produkten. Die größte Veränderung im Vergleich zu früher ist, dass heute nicht mehr die Konsumgüter, sondern das Flachglas und in weiterer Folge das Verpackungsglas dominieren. Vor allem das Flachglas macht inzwischen einen Großteil des Geschäftsumfanges auf dem heimischen Markt aus.“

Zudem hat sich die Wiederverwertung von Altglas als neues Geschäftsfeld in Tschechien etabliert. In der Ausstellung wird vorgeführt, dass selbst Schutzglas mit Drahtgittern oder folienbeschichtetes Autoglas wiederaufbereitet werden können. Aus zerkleinertem und eingeschmolzenem Altglas entstehen unter anderem Verpackungen und mineralische Dämmstoffe. Dadurch sinkt der Rohstoff- und Energiebedarf der Glasindustrie. Klein- und Mittelbetriebe, die herkömmliche Gebrauchsartikel aus Glas wie Trinkgläser und Geschirr herstellen, entwickeln individuelle Strategien, um ihre Marktposition zu sichern:

„Beim händisch hergestellten Glas überwiegt zunehmend die Ausrichtung auf Luxusware mit einem hohen Mehrwert. Denn handgefertigte Ware lässt sich einfach nicht wie Semmeln im Laden verkaufen. Und bei der maschinellen Fertigung geht es darum, dass die Firmen ihr bewährtes Sortiment weiterführen und ihre Klientel, die sie kennen, pflegen. Zugleich investieren viele in eine größere Effizienz bei gleichbleibend hoher Qualität. Wir haben in Poděbrady den vermutlich weltweit größten Hersteller von Bleikristallwaren. Also es gibt immer etwas Interessantes zu entdecken, das für Tschechien bezeichnend ist.“

Bleikristall hat sich Ende des 18. Jahrhunderts von England, Irland und Schottland aus verbreitet. Ähnlich wie historisierende Lüster ist es bei bestimmten Kundengruppen bis heute gefragt, unter anderem auf dem amerikanischen Markt. In eine Erfolgsstory hat sich das temperaturbeständige Borsilikatglas einer tschechischen Marke verwandelt, nachdem deren Hersteller in der Wirtschaftskrise von 2008 sogar Insolvenz anmelden musste. Das Spezialglas wird nun wieder für hitzebeständiges Geschirr, Laborbedarf sowie in der Chemie und Technik eingesetzt und fasst neuerdings auch auf dem Gebiet der Leuchten Fuß. Den Porzellanherstellern wehe ein besonders scharfer Wind ins Gesicht, erklärt Nový, einige hielten sich mit Auftragsfertigung über Wasser:

„Beim Porzellan ist die Lage wegen der stärkeren Ausrichtung auf die Ostmärkte viel schwieriger. Das große Interesse für tschechisches Porzellan, das lange Zeit in Russland und den Staaten der ehemaligen Sowjetunion herrschte, hat schon vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine erheblich geschwankt. Zudem ist der Porzellanmarkt kleiner und die Konkurrenz stärker als beim Glas. Da ist es viel schwieriger, sich zu behaupten. Dennoch schaffen das einige unserer Firmen immer noch.“

Sie würden dabei auf eine Mischung aus klassischem und modernem Design sowie auf Redesign setzen, also aufgefrischte Erfolgsmuster von gestern, ergänzt der Kurator. Ganz neue Wege schlage die Bijouterie ein. Mit ihren Produkten von Modeschmuck über Accessoires bis hin zur Weihnachtsdekoration ist Nový als fachlicher Leiter des Glas- und Bijouteriemuseums Jablonec nad Nisou bestens vertraut. Ateliers und kleine Firmen für Bijouterie sind in der Ausstellung gut repräsentiert. Nový erklärt, warum sie nun vorwiegend für tschechische Zielgruppen produzieren:

„Die tschechische Bijouterie steckt gerade in einem tiefgreifenden Wandel. Halbfertigprodukte wie Schmucksteine werden heute in China in großen Mengen hergestellt, nur bei den Glasperlen haben wir ein Weltmonopol. Und die über 100 Kleinbetriebe, die Fertigprodukte herstellen, stehen heute teils vor einem Generationenwechsel. Viele Gründer haben das Rentenalter erreicht und müssen ihre Firmen veräußern. Außerdem haben sich die Vertriebswege und das Käuferverhalten verändert, es wird viel über das Internet gehandelt. Das bedeutet eine Wende, denn unsere Bijouterie war nie, aber auch wirklich nie in der Geschichte für den tschechischen Markt bestimmt.“

Der Nachwuchs an gut ausgebildeten Fachkräften ist in der gesamten Glas-, Keramik- und Porzellanproduktion ein Thema. An Bildungsangeboten mangelt es nicht. Doch die Gewichtung der Fächer ist laut Nový nicht bedarfsgerecht:

„Wir verfügen über die komplette Bandbreite an Bildungsstätten von der Lehrlingsausbildung bis hin zu den Hochschulen. Es gibt ziemlich viele Schulen, und alle sind staatlich, man kann dort also umsonst lernen. Die meisten Schulen bemühen sich um eine Balance zwischen künstlerischer und praktischer Ausbildung, die den Herstellern etwas nützt. Es gibt genügend Bewerber für die Fachschulen, doch die meisten wollen Designer oder bildende Künstler werden, und nur wenige streben eine Arbeit in der Produktion an.“

Mit Glas, Keramik und Porzellan befassen sich auch mehrere Institute an den hiesigen Hochschulen. An der Universität Pardubice / Pardubitz wird zum Beispiel über Bioglas geforscht. Ebenso werden an der Chemisch-Technologischen Hochschule Prag neue Glas- und Keramikwerkstoffe entwickelt, während sich die Technische Universität Liberec / Reichenberg auf Maschinen für die Glasherstellung spezialisiert hat. Die künstlerische Auseinandersetzung mit den Werkstoffen Glas, Keramik und Porzellan wird an der Prager Akademie für Kunst, Architektur und Design sowie an den Universitäten in Ústí nad Labem / Aussig und Zlín / Zlin gelehrt. Was aber müsste sich in Tschechien ändern, damit die Glas-, Keramik- und Porzellanherstellung für die Zukunft gut aufgestellt ist? Auf diese Frage hat Kurator Petr Nový eine glasklare Antwort:

„Ich würde mir wünschen, dass wir uns um den Nachwuchs an Fachkräften kümmern. Aber mit Augenmaß. Wir brauchen meiner Ansicht nach keine 80 Absolventen jährlich im Fach der Glasbläser, ebenso ist fraglich, ob eine große Zahl von Glasdesignern nötig ist. Und wir sollten uns nichts vormachen. Das sage ich auch an die Adresse der Staatsverwaltung. Wir müssen wissen, wo die tschechische Glas-, Keramik- und Porzellanwirtschaft steht, um sie weiterentwickeln zu können. Wenn wir ein relevanter Player in der heutigen Größenordnung auf den Auslandsmärkten bleiben sollen, wird das ohne eine politische Weichenstellung nicht gehen. Die Politik muss den Platz des Glases, der Keramik und des Porzellans in der Wirtschaftsstruktur Tschechiens definieren.“

Die Ausstellung „Hot Hot Hot. Glas, Keramik und Porzellan von A bis Z“ ist übersichtlich aufgebaut und gibt bei aller Knappheit einen umfassenden Überblick. Die einzelnen Aussteller werden mit einigen wenigen, doch signifikanten Objekten vorgestellt. So konnte eine kompakte und dabei sehr informative Schau in einem einzigen Ausstellungssaal untergebracht werden.

Die Ausstellung „Hot Hot Hot“ ist noch bis 2. Oktober im Technischen Nationalmuseum in Prag zu sehen. Die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag von 9 bis 18 Uhr.