Rechtsextremismus: Die untote NPD muss man nicht vor Gericht zerren - WELT

2022-03-18 03:24:30 By : Mr. David xu

Das Bundesverfassungsgericht eröffnet die Anhörung für ein Verbotsverfahren gegen die NPD. Die Bundesländer begrüßen die Entscheidung und sehen gute Chancen für einen Erfolg ihrer Klage.

E in Aufatmen ging durchs Land. Als sei der totale Sieg des Rechtsstaats nur noch eine Frage von Monaten – so meinten viele nach der Entscheidung des Zweiten Verfassungsgerichtssenats, eine mündliche Verhandlung zum NPD-Parteienverbot anzusetzen. „Zufrieden und erleichtert“ war man in den Reihen der Länderinnenminister, einen „bedeutsamem Beitrag zur Stabilität unserer Demokratie“ sieht der Zentralrat der Juden in Deutschland geleistet.

Es ist vor allem der vielerorts fremdenfeindliche Protest gegen den Zustrom von Flüchtlingen, der einen antinazistischen Reinigungsaffekt wachruft. Wieder folgt der Ruf nach einem NPD-Verbot einem „Reflex“, wie ihn Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) schon nach Bekanntwerden der mutmaßlichen NSU-Verbrechen registrierte.

Das Bundesverfassungsgericht eröffnet das Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD. Das höchste deutsche Gericht wird Anfang März 2016 an drei Tagen über das vom Bundesrat beantragte Parteienverbot verhandeln.

Unter dem Eindruck der beispiellosen Mordserie setzten die Bundesländer 2012 das nun anhängige Verfahren gegen die Nationaldemokraten in Gang. Heute – drei Jahre und mehrere NSU-Untersuchungsausschüsse später – weiß man: Der sträflichen Unterlassungen, die über Jahre das mutmaßliche NSU-Mördertrio unbehelligt wüten ließen, gab es viele. Das unterlassene NPD-Verbot gehört eher nicht dazu.

Nun soll die Flüchtlingskrise herhalten als Kulisse für ein Verfassungslehrstück demonstrativer Nazi-Austreibung. Und die Chancen stehen gut, dass man abermals in ein paar Jahren feststellen wird: Fehler und Versäumnisse – diesmal in der Flüchtlingskrise – mag man viele gemacht haben. Mit der NPD aber hatte das nur am Rande zu tun.

Zu dieser Erkenntnis kann man allerdings auch heute schon gelangen. Die Vorstellung von Jägerzimmer-Nazis, die man wie einen Rockerklub ausheben kann, weil sie sich wöchentlich im „Braunen Ochsen“ mit Trachtenjanker und Adolf-Scheitel treffen, und dort alle drei Strophen des Deutschlandliedes absingen, ist von vorgestern.

Aktueller Rechtsextremismus besteht aus Netzwerken von Initiativen, Denkfabriken, Stiftungen und losen Zusammenschlüssen, denen bei aller unterschiedlichen Schattierung eines gemeinsam ist: die Verachtung von parteipolitischer Arbeit in den Parlamenten. Nur wenig vereinfacht folgen maßgebliche völkisch-nationalistische Kreise heute dem Grundsatz: Wenn Wahlen etwas verändern würden, wären sie verboten.

Folgerichtig werden in diesem Milieu die NPD wie auch andere rechtsextreme Parteiprojekte als gescheitert betrachtet, als Untote, an denen sich abzuarbeiten man gern den Verfassungsschützern als Beschäftigungstherapie überlässt.

Nach den Anschlägen von Paris rückt die Flüchtlingspolitik wieder in den Fokus. Die Pegida-Bewegung versucht, die Geschehnisse für ihre Zwecke zu instrumentalisieren - nur teilweise mit Erfolg.

Auch wenn der eine oder andere NPD-Funktionär als Organisator von Anti-Asyl-Demonstrationen auftreten mag, im Zentrum rechtsextremistischer Arbeit steht seit Längerem schon die Infiltration der Gesellschaft im vorpolitischen Raum. Das schließt Ad-hoc-Bündnisse – etwa mit der rechtspopulistischen AfD – nicht aus. Konstituierend aber ist Agitation im Alltag mit dem Ziel, die Lebenswelt der Menschen zu erreichen und so in die politische Mitte durchzubrechen.

Zentraler Begriff dieser Strategie ist die „kulturelle Hegemonie“, wie ihn der marxistische Philosoph Antonio Gramsci („Gefängnishefte“) entwickelte. Gramsci wird seit Jahren in der neuen deutschen Rechten studiert. Seine Analysen dienten schon der außerparlamentarischen Linken und den Grünen zur Massenagitation.

Vom kalkulierten Rechtsbruch („Gewalt gegen Sachen“) bis zum Aufbau von Gegenöffentlichkeit reicht der Werkzeugkasten, den man da abgeschaut hat.

Er wird überall dort einsetzt, wo eklatante Widersprüche – sei es das Staatsversagen bei der Flüchtlingskrise oder irrelaufender Reformfuror in der Bildungspolitik – den Bürger an der Legitimation herrschender Politik zweifeln lässt. Ist die nötige Schwungmasse erreicht, sorgt geschickter Einsatz der „sozialen“ Medien mit ihren selbstverstärkenden Effekten für permanente Verbreitung.

Spätestens hier wird die Sinnlosigkeit von Parteiverboten offenkundig. Sowenig wie das „Online-Kalifat“ der Islamisten verbotszugängig ist, kann ein geschickt eingefädelter Shitstorm gegen einen asylfreundlichen Bürgermeister verhindert werden. Geschweige denn die Kettenbrieflogistik ausländerfeindlicher Postings auf Facebook. Gegen diese virtuelle Galaxis der neuen Rechten hilft kein Verfassungsgericht.

Besonders leicht fällt rechte Agitation nach diesem Muster dort, wo politisch-administrative Entscheidungen die Bevölkerung unter den Druck moralischer Imperative setzt, die mit ihrer Lebenserfahrung kollidieren.

Wenn etwa ohne Ankündigung und Diskussion – wie mehrfach geschehen – einem sächsischen 500-Seelen-Dorf 2000 Flüchtlinge in eine ehemalige NVA-Kaserne gesetzt werden. Oder wenn eine medial breit instrumentierte „Willkommenskultur“ die Flüchtlingskrise als bevölkerungspolitischen Segen verklärt. Wo massiv in die Normalität der Menschen eingegriffen wird, medial oder materiell, ist Terrain für radikale Reaktionen bereitet.

In Dresden haben sich wieder mehrere Tausend „Pegida“-Anhänger versammelt. Ein Demonstrant brachte einen Miniaturgalgen mit, adressiert an die „Lügenmedien“, versehen mit dem Zusatz „1933 - heute“.

Wie in einem Schauglas kann man solche kommunizierenden Extremismen am Beispiel Dresdens nachvollziehen. Dass gerade dort das Pegida-Phänomen derart aufblühen konnte, ist Ergebnis einer Eskalation mit geschichtspolitischem Hintergrund. Über Jahre war dort der Gesprächsfaden zwischen zwei Bevölkerungsteilen zerfasert und schließlich gerissen.

Es ging um die Erinnerung an die Zerstörung Dresdens im Februar 1945 durch alliierte Bomberverbände. Während von links das Gedenken an dieses Inferno als alljährlicher Bußgang für die deutschen Weltkriegs-Verbrechen liturgisch überhöht wurde, münzten Kräfte von Rechtsaußen dieses Gedenken zum Protest gegen den „Bombenterror“ der „Besatzungsmächte“ um – mit aufgefrischtem Antiamerikanismus.

Die Verhärtung erreichte einen Höhepunkt, als aus Dresdner Linksradikalen-Kreisen dem befehlshabenden Air Marshal Arthur Harris der britischen Royal Air Force posthum „gedankt“ wurde für die Luftschläge, die Zehntausende Zivilisten das Leben und die Stadt ihre architektonische Seele gekostet hatten. Unter dem Eindruck solcher Entgleisungen trieb die Polarisierung viele, zuvor politisch gemäßigte Dresdner ins rechte Milieu der Islamfeinde und volkstümelnden Abendlandretter.

Ein Milieu, geprägt von Angst und Hass. Ganze Dörfer, in denen die Menschen lieber schweigen, als sich öffentlich gegen Neonazis zu stellen. Henrik Neumann erzählt im Kommentar von seinen Recherchen.

Will man dem modernen Rechtsextremismus Einhalt gebieten, bringt es wenig, den aus der Zeit gefallenen NPD-Parteitorso vor den Karlsruher Kadi zu zerren. Und gegen linksextremistische wie auch rechtsextremistische Schlägertrupps im Umfeld der NPD hilft eher robuste Polizeiarbeit.

Vielmehr muss es darum gehen, Diskurshoheit in eben jenen Themenfeldern wiederzuerlangen, in denen das Gespräch zwischen politischer Klasse und Teilen der Bevölkerung abgerissen ist und Extremisten einlädt, das Vakuum zu füllen. In der Flüchtlingskrise, bei der sozialtechnisch überdrehten Genderpolitik, in Fragen der Globalisierung – um nur einige Beispiele zu nennen.

Zur Frage des NPD-Verbotsantrages der Bundesländer aber bleibt dem drei Jahre alten Diktum von Bundestagspräsident Lammert nichts hinzuzufügen: „Man sollte es besser bleiben lassen.“

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